eine neue Welt

11.216 Wörter, 59 Minuten Lesezeit.
!!! BEVOR DU LIEST: hierbei handelt es NICHT um eine Fetischgeschichte. Es ist eher eine Art Liebesgeschichte, ohne jeglichen Bezug zum Thema Sneaker und Co. Erwarte an dieser Stelle also bitte keinen Fetischcontent!
Und diese Geschichte spielt in einer fiktiven Zukunft. Alle Personen und Ereignisse sind frei erfunden!
eine neue Welt
Ich erinnere mich noch gut an den Tag, an dem es in mir brodelte. Es war im Oktober, ein nasser, kühler Oktobertag, der alles ändern sollte. Ich saß in meinem Büro, der Nieselregen prasselte leise gegen die Fensterscheibe und leichter Dunst legte sich über das Firmengelände. Mein Arbeitskollege, Siggi, hatte mal wieder einen seiner Tage. Mit seinen 64 Jahren war er sehr anstrengend. In seiner Welt hatte nur seine Meinung bestand, er hatte immer Recht und grundsätzlich wusste er alles besser. Er war ein typischer, alter Mann, mit dem eine harmonische Zusammenarbeit kaum möglich war. Ich war nicht der Erste, meine Vorgänger haben alle gekündigt, warum, das wurde mir so langsam bewusst.
Es war nicht möglich, seinen Arbeitstag mit einem guten Gefühl beenden. Siggi verließ mal wieder wortlos das Büro und verschwand für einige Stunden, nachdem wir, wie so oft, unterschiedliche Meinungen vertraten. Vielleicht war es genau diese patzige Reaktion, die das Fass zum Überlaufen brachte, auch wenn ich dieses kindische Verhalten von ihm eigentlich kannte.
Vielleicht war es aber auch das Gefühl, dass die eigene Arbeit keinerlei Bedeutung mehr hatte. IT Support in einem Unternehmen, das fossile Brennstoffe transportierte, in einer Zeit, in der es in Deutschland keine fossilen Brennstoffe mehr gab, war auf Dauer einfach nicht mehr befriedigend. Ja soweit war es gekommen. Deutschland war am Boden.
Nach einer katastrophalen Amtsperiode der CDU stiegen die Wählerzahlen der AfD ins Unglaubliche. 76% aller Stimmen holte die Partei, die davon lebte, aus dem Versagen der anderen ihren Nutzen zu ziehen. Aber so richtig schlimm wurde es erst dann.
Deutschland trat aus der EU aus, führte die D-Mark wieder ein und die Wirtschaft kollabierte vollständig.
Neben der historischen Massenarbeitslosigkeit hatte Deutschland mit einem akuten Rohstoff zu kämpfen. Schon unter der CDU hatte wieder auf fossile Brennstoffe, Gas- und Kohlekraftwerke gesetzt, die AfD setzte diesen Kurs noch konsequenter fort. Alle Investitionen in regenerative Energien wurden eingestellt. Und jetzt? Man hat uns den Gashahn zugedreht. Niemand beliefert uns mehr mit Gas oder Kohle.
Durch den anhaltenden Krieg der USA gegen das russich-chinesiche Bündnis behält jeder, was er an Ressourcen hat.
Vielleicht klammerte ich deswegen so sehr an meinen Job, denn im Büro war es warm. Für wichtige Unternehmen gab es nutzbare Reserven und gerade in diesem kühlen und feuchten Oktober, war ein warmes Büro eine echte Wohltat. Aber war es das alles wert?
Ich öffnete das Fenster, draußen war es still. Nicht weil niemand bei dem Nieselregen vor die Tür wollte, sondern weil hier kaum noch jemand arbeitete. Von ursprünglich 1500 Mitarbeitern waren nur noch knapp 100 übrig. Die Notbesetzung. Wofür, wusste niemand.
Es roch nach kaltem Diesel und feuchtem Beton. Wie der nasse Keller einer alten Tankstelle.
Autos hörte man schon lange nicht mehr fahren, Benzin und Diesel waren dem Militär vorbehalten und Elektroautos gab es seit Jahren kaum noch, da die neue Regierung alle Fortschritte in der E-Mobilität zurücknahm und knallhart auf Diesel setzte.
Es roch nach Niederlage und Verzweiflung.
Ich steckte mir eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. Mein Kollege akzeptierte das Rauchen im Büro nicht, aber das spielte an diesem Tag keine Rolle mehr. Trotz geöffnetem Fenster drang der Duft des kalten Rauches in das Büro und schlich langsam den langen, leeren Gang entlang, von dem links und rechts unzählige, leerstehende Büros abgingen. Fast schon gespenstisch zogen die Rauchschwaden meiner Zigarette durch die Flure und hinterließen überall den Geruch von kaltem Rauch. Kalt, genauso kalt wie die Heizungen in den meisten Wohnungen zu dieser Zeit.
„Du rauchst im Büro”, schallte es plötzlich durch die leeren Gänge. Die Stimme eines alten, verbitterten Mannes, Siggis Stimme. Wutentbrannt steuerte er auf das Büro zu, was man an seinen stampfenden Schritten hören konnte. „Du rauchst im Büro?” wiederholte er fragend und wutentbrannt. Ich blieb am Fenster stehen, schaute weiter nach draußen auf den leeren Hof, zog ein weiteres Mal an meiner Zigarette, drehte mich dann um und pustete Siggi den Rauch mitten ins Gesicht. „Jap”, antwortete ich kurz und knapp und warf verachtend die Zigarette auf den Teppichboden im Büro und trat sie dort aus.
Ich wusste, dass es Siggi zur Weißglut bringen würde und genau das war meine Absicht.
Siggi war nicht nur als Arbeitskollege schwierig, er verkörpert auch alles, was ich hasste und alles, was in unserem Land falsch lief.
Siggi war eben einer jener, die konsequent an fossilen Brennstoffen festhielten und die regenerative Energien verteufelten. Er war so jemand, die ich noch zu besseren Zeiten verurteilte. Er gehörte zu den Leuten, die auf Youtube und in sozialen Medien vehement klimaneutrale Energie ablehnte. Dass uns irgendwann jemand den Gashahn abdrehen würde, war für ihn unvorstellbar.
Er war jemand, der mit dafür gesorgt hat, dass Deutschland ein Drittweltland wurde, wobei in dieser Zeit war uns selbst Afrika überlegen. Denn im Gegensatz zu Deutschland hatte Afrika Rohstoffe. Wir hingegen hatten nichts. Hätten wir früh genug in Windkraft, Solar, Pumpspeicher und Gezeitenkraftwerke investiert hätten, ginge es und jetzt nicht so schlecht.
„Was fällt dir ein”, Siggi war wütend und schaute auf die ausgetretene Zigarette am Boden. Er stand vor mir, schaute abwechselnd zu auf die Zigarette und in mein Gesicht. Man konnte ihm deutlich ansehen, wie er um Fassung rang. Er war außer sich, aber er wusste wohl nicht, wie er seinen unendlich großen Unmut zum Ausdruck bringen sollte. Ich blieb ganz ruhig, schaute ihm in die Augen, für mehrere Sekunden, die sich jedoch wie Minuten anfühlten. Meine innere Ruhe machte Siggi noch nervöser.
Ich holte meine Schachtel Zigaretten aus meiner Hosentasche, nahm eine Zigarette heraus und steckte sie mir wortlos in den Mund. „Das wagst du nicht!” Siggi war erbost und nahm eine drohende Haltung ein. Unbeeindruckt von seiner Haltung nahm ich mein Feuerzeug, zündete die Zigarette an, nahm einen kräftigen Zug und pustete ihm den Rauch mitten ins Gesicht.
Siggi Kopf wurde schlagartig feuerrot vor Wut, es fehlten ihm allerdings die Worte. Erneut nahm ich einen Zug: „Ich kündige”, sagte ihm Siggi ziemlich unemotional, fast schon gleichgültig.
Dann lief ich rechts an ihm vorbei, nahm meinen Rücksack und verließ das Büro. Langsam ging die Stufen ins Erdgeschoss hinunter, emotionslos und ohne wirkliche Gedanken. Genau so schlenderte ich über das große, aber fast verlassene Werksgelände. Mein Ziel war das kleine Torhaus, das von zwei Leuten vom Sicherheitsdienst besetzt war.
„Schon Feierabend?” fragte mich der Mann vom Sicherheitsdienst mit einem Lächeln im Gesicht. Freundlichkeit war in diesen Zeiten selten und normalerweise hätte ich sie erwidert, aber nicht heute.
Wortlos legte ich meinen Dienstausweis in die kleine Schublade, die der Mann vom Sicherheitsdienst auch direkt einzog und irritiert auf meinen Ausweis starrte. „Willst du deinen Ausweis nicht mitnehmen?” fragte er mich. „Den brauche ich nicht mehr”, antwortete ich kühl und wandte mich von ihm ab, um meinen Weg fortzusetzen.
Meine Wohnung war nicht weit entfernt, was mein Glück war, denn ohne Auto wäre es sonst nicht möglich gewesen, arbeiten zu gehen. Es waren nur gut 20 Minuten Fußweg.
Einst lag der Weg an einer der meist befahrenen Hauptstraßen in der Stadt. Auf der gegenüberliegenden Seite war früher ein Media Markt, der täglich tausende Kunden anzog. Heute war es eine Ruine, und die Hauptstraße war leer und verwaist. Risse im Asphalt, Unkraut, das sich ausbreitete. Anzeichen dafür, dass der Verkehr schon vor langer Zeit zum Erliegen kam.
Es war still draußen. Eine einst belebte und lebendige Stadt war still geworden. Die Menschen saßen in ihren Wohnungen und hofften auf eine bessere Zukunft und versuchten, sich auf den kalten Winter vorzubereiten.
Meine Schritte führten über den nassen, maroden Asphalt des Gehwegs, mit jedem Schritt spürte ich das Wasser unter meinen Füßen. Alle paar Meter stand eine Straßenlaterne. Natürlich waren alle wegen der Energieknappheit außer Betrieb. Jedoch schmückten sie noch die alten Wahlplakate. “Sei schlau – wähl blau” stand auf den Plakaten, zumindest auf jenen, die noch lesbar waren. „Schlau? Was war daran schlau?” ging mir durch den Kopf.
Links und rechts standen Häuser, unbeleuchtet, dunkel, nass. An einigen lief das Wasser an den Wänden herunter. Auf den alten Parkplätzen standen Autos, die meisten voll mit Grünspan. Schon lange standen die Autos ungenutzt, vorm Wetter ungeschützt.
Einige Autos waren mit Graffiti beschmiert, ebenso wie einige Häuserwände. Ich hatte diesen Graffitis nie große Beachtung geschenkt. Heute war es aber anders. Als würden sie mich anziehen, als würden sie rufen, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen. Schnell erkannte ich ein Muster, ein Symbol, das sich immer wiederholte. Eine grüne Faust, einst ein Symbol einer Gruppierung von militanten Klimaaktivsiten. Als es noch Strom gab, konnte man in den Nachrichten Berichte über die Gruppe im Fernsehen sehen. Sie galten als Terroristen, dabei versuchten sie lediglich auf das vorhersehbare Ende unseres Landes aufmerksam zu machen.
Allerdings war diese Gruppe für die Regierung eine Bedrohung und für den “Diesel-Dieter”, wie man die Wählergruppe der aktuell regierenden Partei nannte, verrückte Spinner.
Ich schaute nach links, ich schaute nach rechts. Einfach überall sah ich dieses Symbol an den Wänden, an den Autos. Auch alte Wahlplakate waren damit beschmiert. Sollte das mein Weg sein? War das ein Zeichen?
Schritt für Schritt kämpfte ich mich in Richtung meiner Wohnung. Es war immer sehr unheimlich, durch die leeren Straßen zu ziehen, ich hatte mich aber schon daran gewöhnt. Ich bog in die letzte Straße ein, es waren nur noch wenige Meter bis zu meiner Wohnung.
An diesem Tag schien die Straße noch ruhiger zu sein, als sonst. Mit jedem Schritt wurde der folgende schwerer und anstrengender, so dass ich mich nur mit Mühe bis zur Eingangstür kämpfen konnte. Ich zog den Schlüssel aus meiner rechten Hosentasche und wollte die Tür aufsperren, hielt dann aber inne.
Der Widerstand
Auf der Arbeit war die grüne Faust bekannt. Es hielten sich diverse Gerüchte über diese Widerstandsgruppe. Unter anderem, dass man zu ihnen Kontakt aufbauen konnte, wenn man zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort erschien.
„Der Parkplatz am Stadion, mit einer grünen Mütze”, murmelte ich. Ja, das war es. Ich steckte den Schlüssel wieder in meine Tasche und machte mich auf den Weg. Meine Schritte waren leicht, nicht mehr so schwer wie zuvor, fast beschwingt.
Das Stadion war eine gute Stunde Fußmarsch entfernt, eine Strecke, die ich durchaus bewältigen konnte.
Am Stadion angekommen, war es bereits dunkel, was für die Jahreszeit um 18 Uhr nicht ungewöhnlich war. Ich lief auf dem Parkplatz hin und her und trug dabei eine dunkelgrüne Engelbert Strauss Wollmütze.
Es verging eine halbe Stunde, eine Stunde, zwei Stunden, nichts passierte. War alles doch nur ein Gerücht? Meine Zweifel wurden von Minute zu Minute immer stärker und nach drei Stunden beschloss ich, den Heimweg anzutreten.
Enttäuscht lief ich durch die dunklen, verlassenen Straßen. Es war nach 21 Uhr, ich musste mich beeilen, denn ab 22 Uhr galt eine Ausgangssperre. Vereinzelt fuhren Polizeiautos durch die dunklen Straßen, die einzigen Autos zu dieser Zeit.
Geschafft, gerade noch rechtzeitig, kam ich zuhause an. Ich öffnete die Tür, betrat den Hausflur und ging die ersten Stufen im Treppenhaus hinauf, als ich ein lautes Klappern hörte.
Es war die Klappe des Briefkastens. Aber wie konnte das sein? Post kam schon seit Monaten nicht mehr und selbst wenn, dann nicht mehr um diese Uhrzeit. Leicht nervös ging ich die Stufen wieder hinunter und öffnete den Briefkasten. Ich zog einen kleinen Zettel heraus auf dem stand: „in 30 Minuten am Hintereingang altes Tierheim”
Ich schaute auf meine Armbanduhr. Genau 22 Uhr. Sollte ich es riskieren? Das Tierheim war nicht weit weg, mit schnellem Schritt war es in 20 Minuten zu erreichen und der Weg führte durch einen Park. Wenn ich mich geschickt anstellte, könnte ich die Polizeistreifen umgehen. Aber was, wenn ich trotzdem erwischt werde?
Eigentlich hatte ich bewusst noch keine Entscheidung getroffen, dennoch legte ich meinen Rucksack ab und machte mich auf den Weg. Ich wohnte in einer kleinen Seitenstraßen, Polizeistreifen waren hier eher selten. Bis zum Park waren es gut 600 Meter.
Ich lief zielstrebig, zügig, aber nicht übermäßig hektisch. Da ich grundsätzlich schwarze Kleidung trug, fühlte ich mich in der Dunkelheit gut getarnt.
Fast unsichtbar und nahe geräuschlos flitzte ich durch das dunkle Wohngebiet bis zum Park. Hier fühlte ich mich sicher.
Es war ein alter Park, damals schon nicht stark besucht und seit einigen Monaten gar nicht mehr. Hier war die Feuchtigkeit noch intensiver, als in den Straßen und der kleine, schmale Trampelpfad, der zum Tierheim führte, erinnerte an einen Horrorfilm.
Ein leichter Wind wehte durch den Park und ließ die letzten Blätter der Bäume tanzen. Das Rauschen der Blätter war deutlich zu hören, eigentlich war das einzige, was zu hören war, abgesehen von meinen Schritten auf dem leicht matschigen Trampelpfad. Nach 5 Minuten war das Tierheim in Sicht. Die Rückseite grenzte direkt an den Park. Dort gab es einen kleinen Parkplatz.
Leicht nervös und mit weichen Knien stellte ich mich an den Rand des Parkplatzes und schaute mich um. Niemand zu sehen, niemand zu hören. Nur das Rauschen der Blätter.
Ich nahm eine Zigarette, steckte sie mir in den Mund und zündete sie an, als mich der Schlag traf. Eine Hand auf meiner rechten Schulter. Ich war zu Tode erschrocken, es fühlte sich einen Moment lang so an, als wäre mein Herz stehen geblieben. Vorsichtig drehte ich meinen Kopf und eine Person trat aus dem Schatten.
„Ich bin Alex”, stellte sich der Fremde vor und streckte mir seine Hand entgegen. Ich war immer noch perplex, griff aber die Hand und schüttelte sie, wortlos.
„Du willst also unserer Rebellengruppe beitreten?” fragte mich Alex sehr direkt. Ich war noch dabei, mich zu sammeln. Ich schaute mir Alex von oben bis unten an. Er war etwa Mitte 20, trug eine blaue aber ziemlich zerschlissene Jeans, einen schwarzen Hoodie, eine schwarze Jacke darüber und weiße, ziemlich fertige Nike Air Force. Der Anblick erinnerte mich an eine Zeit, als mir solche Sneaker noch etwas bedeuteten, an eine unbeschwerte Zeit.
„Ja”, antwortete ich mit etwas Verzögerung, während ich einen kräftigen und beruhigenden Zug von meiner Zigarette nahm.
„Du weißt aber, worauf du dich einlässt?” fragte mich Alex. Ich nickte. „Ich bin übrigens…”, ich versuchte mich vorzustellen, jedoch unterbrach mich Alex prompt. „Ich weiß wer du bist, wir kennen alle Leute, die in Unternehmen arbeiten, die zu diesem Dilemma geführt haben. Und nur deshalb bin ich hier. Wir brauchen Insider.”
„Woher wisst ihr, wer ich bin?” fragte ich neugierig, „die Regierung schützt doch die Identitäten von Mitarbeitern von Öl- und Gasunternehmen.” So hieß es zumindest immer. Alex lachte: „Wir haben unsere Quellen”, war seine Antwort. „Dann lass uns gehen, Solan will dich kennenlernen.” „Solan?”, ich war verwirrt, „wer ist Solan?” „Solan Ash, der Anführer unserer Organisation”, antwortete Alex, als er mich am Arm griff und mich wieder in den Park zog. Schnell aber lautlos, an Elfen aus Fantasy Filmen erinnernt liefen wir durch den Park. Am nördlichen Teil des Parks lag eine große vierspurige Straße. Auf der anderen Straßenseite war ein alter Eingang zur U-Bahn, die aber schon vor Monaten stillgelegt wurde.
Wir blieben am Rand des Parks, im Schutz der Bäume und Sträucher stehen. Alex schaute hektisch nach links und nach rechts, wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal die große Straße überqueren wollte. „Wir müssen runter in die U-Bahn”, flüsterte er mir zu. In diesem Moment tauchten Scheinwerfer auf. Es war eine Polizeistreife, die mit hoher Geschwindigkeit an uns vorbei sauste. Ich schaute dem Polizeiauto hinterher und als es außer Sicht war, wollte ich loslaufen. Gerade als ich den ersten Fuß aus dem Schatten auf dem Straße gesetzt hatte, griff Alex meinen Kragen und zog mich ruckartig zurück ins Gebüsch. Ich fiel nach hinten, so dass ich im Gebüsch lag, als ein weiteres Fahrzeug an uns vorbei raste. Wie konnte ich das nur übersehen, fragte ich mich. Alex hatte mich gerettet.
„Jetzt, los los”, flüsterte Alex und sprintete los. Ich raffte mich auf und lief ihm hinterher. Über den schmalen Gehweg, über die vier Spuren der Straße bis zur Treppe, die zum U-Bahnschacht führte. Schnell, schnell, ging es die Stufen hinunter. Auf den ersten Stufen hörte man es: Pitsch, Patsch, unsere Schritte in den seichten Pfützen, die sich auf den Stufen gebildet hatten. Jedoch wurde die Treppe mit jeder weiteren Stufe immer trockener und schon bald kamen wir unten an und standen vor einem großen Gitter, ein Tor, mit einem Vorhängeschloss.
Alex kramte in seinen Hosentaschen und kramte einen Schlüssel hervor. Er öffnete schnell das Schloss, schubste mich durch die Öffnung und verschloss die Tür wieder.
Vor uns lag eine weitere Treppe, die bis hinunter zum alten U-Bahnsteig führte. Schnellen Schrittes stiegen wir hinab und bogen am Ende der Stufen links ab. Eine große Metalltür versperrte uns den Weg.
Alex klopfte. Zweimal schnell hintereinander, dann dreimal mit deutlichem Abstand, scheinbar eine Art Klopfzeichen. Nur wenige Sekunden später hörte man, wie sich das alte, schwere Schloss entriegelte. Dann öffnete sich die alte, schwere Metalltür unter lautem Quietschen.
Ein düster dreinschauender Herr stand hinter der Tür. Bestimmt 2m groß, breit, kräftig, mit langen schwarzen Haaren und unzähligen Tattoos. Sein Anblick war einschüchternd, jedoch trat er beiseite und ließ uns eintreten.
Wir betraten einen langen Gang, der zu meiner Überraschung beleuchtet war. Strom war selten. Zwar hatte ich im Büro, auf der Arbeit konstant Strom, aber zuhause gab es so etwas nicht mehr. Links und rechts waren Türen, alle geschlossen und am Ende des Ganges war ein Raum zu sehen, ebenfalls hell beleuchtet.
Alex schob mich durch den Gang, in den großen Raum am Ende des Ganges. Der Raum war etwa 20 mal 20 Meter groß. In der Mitte stand ein großer Tisch mit einigen Papieren und Karten darauf. An den Wänden waren ebenfalls Karten, sowie Fotos von Regierungsgebäuden und Gebäuden von Energieunternehmen. Auch ein Foto von dem Gelände meines früheren Arbeitgebers, welches mir direkt ins Auge stach.
Am Kopf des Tischs stand ein älterer Mann, um die 60 Jahre, mit kurzen grauen Haaren. Es war ein zackiger Militärschnitt. Sein Gesicht wirkte streng, die Haut war faltig und seine grauen Augen schauten durchdringend.
Alex gab mir einen leichten Schubs, der mich direkt vor den Tisch beförderte. „Ehm, ich bin”, begann ich, als ich, wie schon mit Alex, unterbrochen wurde. Diesmal jedoch von dem alten Mann. „Mir ist gleich wer du bist, aber ich will wissen, warum du hier bist!” Dann grummelte er, während er sich eine Zigarette ansteckte und sie in seinem Mund von links nach rechts schob.
Es war, als hätte jemand in mir einen Schalter umgelegt. Ich nahm ebenfalls eine Zigarette, zündete sie an und hatte ganz plötzlich das gleiche Gefühl wie schon wenige Stunden zuvor im Büro. Ich nahm einen kräftigen Zug, pustete den Zigarettenqualm quer über den Tisch und sagte ruhig, gelassen und vollkommen emotionslos: „Ich bin es leid!” Ich nahm einen weiteren Zug und fuhr dann fort: „Ich bin es leid, einfach nur zuzusehen, wie dieses Land vor die Hunde geht. Ich bin die Fehler der Vergangenheit leid und ich bin all jene leid, die uns das alles eingebrockt haben. Ich will, nein ich werde es beenden.”
Der alte Mann grummelte, kraulte nachdenklich seinen Bart: „Ein starkes Statement für jemanden, der noch heute Morgen für den Feind gearbeitet hat.” Seine Stimme klang rau.
Der alte Mann musterte mich noch eine Weile, als wolle er in meinen Gedanken lesen. Der Rauch seiner Zigarette hing schwer zwischen uns, vermischte sich mit meinem. Zwei Rauchschwaden, die sich im Licht der nackten Glühbirnen verflochten – wie zwei Geschichten, die sich kreuzen, vielleicht auch bald verbrennen würden.
„Setz dich”, sagte er schließlich und deutete auf einen Stuhl am Tisch. Ich gehorchte.
Alex blieb hinter mir stehen, die Arme verschränkt. Ich spürte seinen Blick im Nacken.
„Ich bin Solan Ash”, sagte der Mann ruhig. „Ich leite den Widerstand der Grünen Faust. Und du wirst mir jetzt erzählen, was du weißt.”
Ich nickte, wusste aber nicht, wo ich anfangen sollte.
„Was genau wollt ihr wissen?”, fragte ich vorsichtig.
„Alles”, antwortete Solan. „Wie viel Brennstoffreserven euer Unternehmen wirklich hat, welche Routen das Militär nutzt, wo sie lagern. Wir wissen, dass da unten noch etwas ist. Irgendwo im Süden.”
Seine Stimme wurde fester. „Wir haben Karten, Berichte, alte Satellitenbilder. Aber was uns fehlt, ist jemand, der dort gearbeitet hat. Jemand, der weiß, was sich hinter den Zäunen abspielt.”
Ich schwieg einen Moment. Dann sagte ich:
„Es gibt ein unterirdisches Depot, etwa fünf Kilometer außerhalb der Stadt. Alte Leitungssysteme, die seit Jahrzehnten stillgelegt sein sollten. Offiziell sind sie es auch. Aber ich habe Daten gesehen… Wartungsprotokolle, Energieverbräuche, Temperaturlogging. Da unten läuft noch etwas. Nur keiner weiß, was.”
Solan zog an seiner Zigarette, legte sie dann langsam im Aschenbecher ab.
„Also doch”, murmelte er.
Er trat ans andere Ende des Raumes, wo an der Wand eine große Karte hing. Mit einem dicken schwarzen Filzstift markierte er einen Punkt. „Hier. Das wäre also der Ort.”
Er drehte sich zu mir um. „Und du wirst uns dorthin bringen.”
Ich zögerte. „Wieso ich?”
„Du hast dich bei uns gemeldet oder nicht? Du wolltest du uns, also musst du dich beweisen!” Solan trat näher, sein Gesicht war nur noch eine Armlänge entfernt.
„Dann wirst du morgen Nacht dort sein. Mit Alex. Wir holen uns, was uns gehört. Wenn du uns verrätst – wenn du es dir anders überlegst – dann war dieser Abend dein letzter.”
Er lächelte nicht. Und ich wusste, dass er es ernst meinte.
Ich atmete tief ein, spürte das Kratzen des Rauchs in der Kehle. „Ich werde tun, was nötig ist”, antwortete ich.
„Gut.” Solan drehte sich um und griff nach einem Funkgerät auf dem Tisch. „Bereitet das Team vor. Wir gehen morgen um null Uhr.” Solan nahm sich eine weitere Zigarette aus seiner Schachtel, zündete sie an und schaute zu Alex: „Er schläft heute Nacht hier, zeig die freie Zelle.” Alex sagte nichts in diesem Moment, wirkte aber nicht begeistert. Er schob mich durch die Tür in den langen Gang: „Warte kurz”, sagte er nur knapp und ging dann zurück zu Solan. Die beiden sprachen über etwas, ich konnte aber nicht verstehen, worüber sie redeten. Es konnte aber nichts Gutes sein, denn Alex wedelte wild mit den Armen und er schien erregt. Plötzlich drehte sich Solan um: „SCHLUSS JETZT, ICH DULDE KEINEN WIDERSPRUCH!” brüllte Solan lautstark durch den Raum. Es war so laut, das man seine Worte als Echo in dem langen Gang hören könnte. Als würden die Wände vor lauter Ehrfurcht seine Worte wiederholen.
Alex verzog das Gesicht, schaute böse drein, als er zu mir zurückkam. „Alles gut?” fragte ich neugierig, naiv, jedoch bekam ich keine Antwort von Alex. Er ging voran in den langen Gang und öffnete die dritte Tür auf der linken Seite. „Hier kannst du schlafen”, erklärte mir Alex in einem Ton, der aus dem Handbuch für Gefängniswärter hätte stammen können.
Dann schubste er mich in die kleine Zelle. Es war ein kahler Raum mit einem Bett, einem Stuhl und einem kleinen Schrank. Mehr nicht. Eine Gefängniszelle war Luxus im Vergleich zu diesem Raum. An der Decke hing ein dünnes Kabel mit einer Baufassung für eine Glühbirne, die dämmriges Licht brachte. Dann schloss Alex die Tür.
Ich versuchte mich zu sammeln und erst einmal alles zu verarbeiten. Obwohl ich aktiv den Kontakt zur grünen Faust gesucht habe, ging mir doch alles zu schnell. Ich setzte mich auf mein Bett und sortierte meine Gedanken, als ich vor der Tür Stimmen hörte. „Können wir ihm trauen?” Die Stimme war mir fremd. Aber die folgende Stimme war eindeutig die von Alex: „Ich weiß es nicht, aber Solan will, dass er morgen mitkommt.” Dann eine kurze Pause. „Aber ich traue ihm irgendwie nicht”, fuhr Alex fort.
Wo war ich hier nur hinein geraten, dachte ich mir. Ich war mir nicht mehr sicher, ob meine Entscheidung klug war. Ich legte mich auf das Bett, schloss die Augen und versuchte, meine Gedanken zu sortieren, bis ich einschlief.
der erste Einsatz
Poch, Poch, es klopfte an die Metalltür meiner Zelle. Das Klopfen riss mich aus dem Schlaf.
„Aufstehen, Einsatzbesprechung!” Es war Alex, der mich weckte. Ich fühlte mich, als hätte ich erst 20 Minuten geschlafen. Da wir unter der Erde waren, gab es keine Fenster, kein Tageslicht. Ich schaute auf meine Uhr und war überrascht, dass es schon 10 Uhr morgens war.
Ich streckte mich kurz und folgte Alex. Die Besprechung fand in dem Raum statt, in dem ich tags zuvor Solan kennenlernte. Jeder stand, wie auch schon am letzten Abend hinter dem alten Holztisch. Ringerhum verteilten sich andere Mitglieder der grünen Faust. Männer, wie du und ich, unscheinbar. Bei Rebellen hätte ich in erster Linie an Männer im militärischen Stil gedacht, aber hier standen junge Männer in Jeans oder Cargohosen, mit Pullovern oder Hoodies. Junge Männer, wie man sie noch vor einigen Monaten in jedem Foot Locker gesehen hat.
„Das hier ist unser Ziel heute Nacht. Das Flüssiggasdepot von EON Energie.” Solan zeigte mit einem Stock auf den roten Punkt auf einer Karte. Dabei balancierte er seine Zigarette in seinem Mund. „Es ist das Backup Depot und daher nicht so stark gesichert, wie das Hauptdepot.” „Aber wäre es nicht besser, das Hauptdepot anzugreifen?” fragte einer der jungen Männer. Solan würde schlagartig wütend. „NEIN”, Solan schlug mit seinem Zeigestock auf den Tisch, dass es laut knallte. Er war so erbost, dass er sich am Rauch seiner Zigarette verschluckte und stark husten musste. Es dauerte einen Moment, bis er sich wieder gefangen hatte. „Wenn wir das gut bewachte Hauptdepot angreifen, wird das Backupdepot direkt stärker gesichert. Dann haben wir zwei schwere Schlachten zu schlagen. Wenn wir zuerst das Backupdepot angreifen, haben wir zumindest dort ein leichtes Spiel. Zudem kann sich hier unser Frischling beweisen.” Solan zeigte auf mich. „Der Neue wird euch heute Nacht begleiten, vielleicht erweist er sich als nützlich.”
Alle in der Runde schauten mich skeptisch an. Einige flüsterten ihrem Nachbarn etwas ins Ohr. Zwar konnte ich die Worte nicht verstehen, aber mir war klar, dass es um mich ging.
Solan erläuterte die Details des Angriffs und spätestens jetzt hätte mir klar sein müssen, auf was ich mich da eingelassen hatte. Nach einigen Minuten endete die Besprechung und alle verteilten sich im Hauptquartier der grünen Faust und gingen ihren Aufgaben nach.
Alex und ich hingegen bekamen die Aufgabe zugewiesen, Rucksäcke zum Backupdepot zu bringen und dort zu verstecken. Tagsüber waren Leute auf der Straße mit Rucksäcken nicht auffällig, in den Abendstunden und besonders zur Ausgangssperre war das anders. Insgesamt mussten wir 8 Rucksäcke zum Depot bringen. Jeder von uns durfte aber nur immer einen Rucksack tragen, um eben nicht auffällig zu sein. Daher mussten wir den Weg vier Mal laufen, was sich bis in den frühen Abend zog.
Die Rucksäcke versteckten wir in unmittelbarer Nähe des Depots in einem großen Gebüsch. Nach unserem letzten Gang versteckten wir uns selbst im Grünen und warteten auf die Dunkelheit und das Eintreffen der anderen.
Es dauerte nicht lange, vielleicht zwei Stunden, bis die Nacht hereinbrach und die anderen Widerstandskämpfer auftauchten. Sechs Leute kamen, somit gabs es für jeden einen Rucksack. „Das ist deiner”, sagte Alex zu mir und hielt mir einen der Rucksäcke hin. Noch während ich zu meinem Rucksack griff, sah ich, was die anderen aus ihren Rucksäcken holten und mir stockte der Atem. Waffen, es waren Waffen. Bei diesem Anblick blieb mein Herz stehen und eigentlich schien die ganze Welt stehen zu bleiben. Ich konnte plötzlich das Rauschen der Blätter im Wind hören, es war, als konnte ich jedes Blatt einzeln hören.
Die Mitglieder der grünen Faust schienen sich in Zeitlupe zu bewegen, während mir tausende Gedanken durch den Kopf schossen. „Hey”, rief Alex und schlug mir gegen die rechte Schulter, um mich wieder ins hier und jetzt zurück zu holen. „Alles gut bei?” fragte er. „Ich…ehm….also….”, stotterte ich. „Was ist? Wir müssen gleich alle klar bei der Sache sein, sonst nimmt das ein schlimmes Ende”, erklärte mir Alex mit sehr ernster Stimme. „Lassen wir ihn hier”, schlug einer der anderen vor. „Nein, Solans Anweisungen waren klar”, lehnte Alex ab. Dann gab er mir eine Ohrfeige und sofort war ich wieder klar im Kopf. „Bist du wieder da?” fragte mich Alex. „Ja, aber….ich wollte….wir doch nicht im Krieg”, stammelte ich. Doch dann war es schon zu spät
Sirenen heulten und Suchscheinwerfer beleuchteten die Gegend. „Scheisse, wir sind aufgeflogen”, rief einer der anderen Mitglieder. „Wir müssen schnell machen”, brüllte ein anderer, seine Waffe durchlandend und sich mit Handgranaten ausrüstend.
Kaum hatte ich realisiert, was um mich herum geschah, flog auch schon die erste Handgranate in Richtung den großen Maschendrahtzauns des Backupdepots. Ein lauter Knall, eine Druckwelle und Geschrei aus allen Richtungen.
„Sie sind hier”, hörte man eine Stimme in der Ferne rufen und alle Suchscheinwerfer leuchteten unseren Bereich und das Loch im Zaum aus. Ich saß immer noch im Gebüsch auf dem Boden, vollkommen überfordert, Alex hockte neben mir. Die anderen rannten derweil zu dem Loch im Zaun. Peng, Peng, Schüsse fielen, dann explodierte eine zweite Granate.
„Komm schon, wir müssen den anderen helfen”, Alex schüttelte an mir herum. Aber ich war steif, wie festgefroren. „Ach scheiss drauf”, hörte ich Alex, der aufstand, zu seinen Kameraden rannte und mich zurück ließ. Allerdings kam er nicht weit. Kurz vor dem Zaun tauchte plötzlich ein Soldat auf mit einem Gewehr. „Halt stehen bleiben“ rief er. Alex stoppte seinen Sprint und blieb schlagartig stehen und hob die Hände. Der Soldat stand seitlich von Alex, so dass Alex nur aus dem Augenwinkel sehen konnte, was der Soldat tun würde. Ich hingegen konnte es genau sehen. Langsam, fast schon in Zeitlupe hob der Soldat sein Gewehr. Wollte er Alex erschießen? Warum? Alex war keine Bedrohung. In der Ferne waren wieder Schüsse zu hören, und lautes Geschrei.
Der Soldat wurde nervös, ruckartig hob er sein Gewehr. Dann ein lauter Knall!
Alex zuckte zusammen, als wäre ein Schuss direkt durch ihn hindurch gesaust. Er schaute an sich herunter, ob er irgendwo Blut sehen konnte, aber er fand nichts. Dann tastete er seinen Körper ab und schaute im Anschluss zu mir. Mit großen Augen schaute er mich direkt an. Er starrte förmlich, ungläubig. Dann schaute Alex zu dem Soldaten, der zu Boden fiel. Unter seinem Körper floss Blut in alle Richtungen.
„Du….du hast mich gerettet”, Alex stotterte immer noch etwas irritiert. Dann sah er wieder zu mir. Ich stand vor dem Gebüsch, einige Meter vom Loch im Zaun entfernt, mit der Waffe in der Hand. Ja, ich hatte geschossen. „Wenn ich nicht geschossen hätte, hätte er es getan”, ich zeigte auf den am Boden liegenden Soldaten. Plötzlich eine laute Explosion, gefolgt von einer gewaltigen Druckwelle. „*WEEEEEEEG HIEEER*” Die anderen kamen angerannt, verfolgt von einer Gruppe schießwütiger Soldaten. Links und rechts von mir schlugen die Kugeln in den Boden ein und ohne zu denken drehte ich mich um und rannte. Ich rannte einfach nur weg.
Alex hatte mich nach wenigen Metern eingeholt und lief neben mir, kurz hinter uns die anderen. Immer wieder schlugen die die Kugeln der Gewehre unserer Verfolger in Bäume und Autos links und rechts von uns ein. „Hier lang”, rief Alex und zeigte rechts, zu einem kleinen Park, der in der Dunkelheit lag. Alex lief vor, ich hinter ihm, kurz danach folgten uns die anderen.
Alex lief quer durch den Park, bis zur anderen Seite, in ein altes, verlassenes Gewerbegebiet. „Da rein”, rief er und zeigte links auf eine alte, rostige Tür. Alex zog mit aller Kraft die Türe auf, ich stolperte ins Dunkel der alten Halle, die anderen folgten und rums, Alex schloss die Tür. Völlig ausser Atmen standen wir in der Dunkelheit. Hier war es still, still und dunkel.
„Gehts allen gut?” fragte Alex, sichtlich außer Atem und nach Luft schnappent. „Ja, keiner verletzt”, antwortet ein anderer. Wir alle keuchten und waren vollkommen am Ende. „Gut”, Alex war erleichtert. Wir schnappten alle noch einige Male nach Luft, dann führte Alex uns eine rostige Metalltreppe hinauf, die aufs Dach des Gebäudes führte. Es war ein Flachdach, von dem aus man die Gegend gut beobachten konnte.
Auch den Park konnte man von hier aus sehen, wie er im Dunkeln lag. In der Dunkelheit und zwischen den Bäumen sah man die Taschenlampen der Soldaten, die nach uns suchten. Scheinbar hatten wir sie abgeschüttelt. Immer wieder waren in der Ferne Rufe zu vernehmen: „Hier ist nichts”, konnte ich raushören. Dann liefen die Lichter in eine andere Richtung. Es war fast schon eine Choreografie, wie die Lichter durch den Park irrten.
Mein Herz raste, meinen Puls konnte ich im ganzen Körper spüren. Ganz besonders in meinem Kopf, ein ständig pulsierendes Wummern, im Takt meines Pulses. Ich war komplett berauscht vom Adrenalin, das durch meinen Körper schoss. Zwar wusste ich, was die letzten Minuten geschehen war, aber verarbeitet hatte ich es nicht. Mein Körper war immer noch im Fluchtmodus, jederzeit bereit, erneut Vollgas zu geben.
„Alles in Ordnung?” hörte ich von rechts. Alex legte seine Hand auf meine Schulter, um mich zu beruhigen. „Ich…ehm…ich denke schon”, antwortete ich stotternd. Ich noch immer im Tunnel, schaute panisch nach links und rechts, horchte in alle Richtungen. Es war, als befände sich mein Körper in einem automatischen Selbstverteidigungsmodus, den ich nicht bewusst kontrollieren konnte. Zwar schaute und horchte ich in alle möglichen Richtungen, aber wirklich etwas sehen, bewusst wahrnehmen konnte ich nicht. Bis heute kann ich nicht sagen, wie die alte Halle aussah und was genau ich vom Dach aus gesehen habe. Zwar reagierte ich auf Bewegungen in der Dunkelheit und selbst auf das leiseste Geräusch, aber völlig unkontrolliert, dafür jederzeit bereit, los zu sprinten. Zu Rennen, wie ein Pferd auf der Flucht.
„Ruhig”, Alex streichelte von meiner Schulter meinen Arm entlang, bis er meine Hand berührte. „Wir haben es überstanden”, mit ruhiger und sanfter Stimme redete er auf mich ein. „Und danke, dass du mich gerettet hast .“ Irritiert schaute ich zu Alex, mit meinen weit aufgerissenen Augen, die auf diese Weise versuchten, die Dunkelheit zu kompensieren.
„Ich habe was gemacht?” fragte ich verwirrt. „Hat der was abbekommen?” fragte einer der anderen. „Nein, es ist nur der Schock und das Adrenalin”, erklärte Alex, dessen Stimme immer noch sehr ruhig war. Dann griff Alex meine Hand und hielt sie fest. Mit seinem Daumen streichelte er meinen Handrücken. Die Wärme seiner Hand und seiner Finger fühlte sich gut an und beruhigte mich etwas.
Alex nahm nun auch seine andere Hand, so dass er meine Hand mit seinen beiden Händen halten konnte. Seine Haut war weich und zart. Es fühlte sich unglaublich an und wie von Zauberhand war alles um mich herum egal. Ich konzentrierte mich nur noch auf seine Berührung. Zwar wirkte Alex nach außen ruhig, aber ich konnte seinen Puls über seine Hände spüren, der ebenfalls so raste wie meiner.
„Wir haben es geschafft”, lobte Alex mit leiser Stimme.
Es vergingen gut zwei Stunden, bis die Soldaten aufgaben, uns zu suchen. Sie erkannten wohl, dass es in der Dunkelheit sinnlos war. Wir nutzten die Gelegenheit, die wenigen Kilometer zum Hauptquartier zu laufen. Wortlos liefen wir durch die dunklen Straßen der Stadt, leisen Schrittes, immer leicht in Deckung. Wir wollten auf keinen Fall einer Polizei- oder Militärstreife in die Arme laufen. Allerdings war es auch ungewöhnlich ruhig. Nach so einem Anschlag hätten doch mehr Streifen unterwegs sein müssen. Oder mussten sich die Soldaten selbst erst einmal sammeln? Waren sie sehr von sich überzeugt, dass sie einen Anschlag für so unwahrscheinlich hielten, dass niemand darauf vorbereitet war?
Im Hauptquartier angekommen, fiel dich direkt erschöpft in mein Bett und schlief auch direkt ein. Scheinbar war mein Körper durch die stressige Situation komplett ausgelaugt.
Ich wachte irgendwann auf. Ich wusste nicht, wie spät es war – unten in der alten U-Bahn gab es kein Zeitgefühl. Nur das Summen der alten Leuchtstoffröhren und das Tropfen irgendwo in der Ferne.
Alex
Die Tür zu meinem Raum stand leicht offen. Ein schwacher Lichtschein fiel hinein.
Ich setzte mich auf, noch halb im Schlaf, und sah Alex im Türrahmen stehen.
Er hielt zwei Metallbecher in der Hand.
„Kaffee”, sagte er und grinste leicht. „Naja… so etwas in der Art.”
Er trat ein und reichte mir einen Becher. Das Getränk war lauwarm, schmeckte nach verbrannten Bohnen und Rost, aber es war warm. Und das war in diesen Zeiten mehr wert als Geschmack.
„Du hast schlecht geschlafen”, meinte er.
„Wie kommst du darauf?”
„Man hört dich reden. Im Schlaf.”
Ich sah ihn an, überlegte kurz, was ich darauf antworten sollte, und zuckte dann nur mit den Schultern.
Alex setzte sich neben mich auf die Matratze.
Ein Moment der Stille. Nur unser Atem.
Sein Blick wanderte zur Wand, dann wieder zu mir.
„Weißt du”, begann er leise, „die meisten, die hier runterkommen, haben Angst. Du nicht. Du siehst aus, als hättest du alles schon verloren.”
Ich nahm einen Schluck von dem metallischen Kaffee. „Vielleicht ist genau das der Grund, warum ich hier bin.”
Er nickte, und für einen Moment schien die Luft wärmer zu werden.
Dann legte er die Hand auf meine Schulter – vorsichtig, als wäre es eine Frage, kein Griff.
„Morgen wird gefährlich”, sagte er.
Ich wollte etwas erwidern, aber es fiel mir nichts ein.
Also sah ich ihn einfach an.
In seinen Augen spiegelte sich das matte Licht der Lampe, ein trüber Glanz aus Müdigkeit und Mut.
Vielleicht war das der erste Moment seit Jahren, in dem ich wieder so etwas wie Nähe spürte.
Kein Heldentum. Kein Pathos. Nur zwei Menschen, die wussten, dass sie morgen vielleicht schon tot sind – und sich deshalb erlaubten, für einen Augenblick lebendig zu sein. „Ich wollte dir nochmal danken, dass du mir gestern das Leben gerettet hast”, Alex, „ohne dich wäre ich heute schon nicht mehr hier.” Ich schluckte, für den Moment hatte ich vergessen, dass ich in der letzten Nacht jemanden erschossen hatte. Das erste Mal in meinem Leben.
Ein Leben zu nehmen, um ein anderes zu retten. War das fair? War das richtig, fragte ich mich, während ich nachdenklich zu Boden schaute. Aber dann spürte ich wieder Alex Hand auf meiner Schulter, ich schaute zu ihm auf, in seine warmen Augen. Alex lächelte, nicht nur mit dem Mund, auch mit seinen Augen und in dem Moment wusste ich es: es war richtig, was ich getan hatte.
Ich wusste nicht, wie lange wir so dagesessen hatten. Vielleicht Minuten, vielleicht Stunden. In der Dunkelheit verlor Zeit jede Bedeutung. Nur das leise Tropfen irgendwo in der Tiefe erinnerte mich daran, dass die Welt sich noch bewegte – langsam, wie ein alter Motor, der kaum noch Kraft hatte.
Alex’ Hand lag immer noch auf meiner. Ich hatte sie nicht weggezogen. Vielleicht hätte ich es tun sollen, aber in diesem Moment fühlte es sich an, als hielte mich nur diese Berührung davon ab, auseinanderzufallen.
Das schwache Licht der Neonröhre über uns flackerte in unregelmäßigen Abständen. Mit jedem kurzen Aufleuchten warf es scharfe Schatten an die feuchten Wände des alten U-Bahn-Schachts. Schatten, die aussahen wie Bewegungen, wie Erinnerungen an Menschen, die längst fort waren.
„Man sagt, man gewöhnt sich an alles“, flüsterte Alex. Seine Stimme war heiser vom Rauch und der Kälte.
Ich drehte den Kopf und sah ihn an. Er starrte ins Leere, auf die dunklen Schienen, die im Nichts endeten.
„Aber ich hoffe, das stimmt nicht“, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu.
Ich wusste, was er meinte. Ich hatte mich an so vieles gewöhnt. An den Gestank von Diesel, an leere Straßen, an Stille. An Menschen, die verschwanden, ohne dass jemand Fragen stellte.
Aber ich wollte mich nicht daran gewöhnen, dass nichts mehr bedeutete.
„Ich glaube, man gewöhnt sich nur an das, was bleibt“, sagte ich leise.
Alex wandte sich zu mir. Unsere Blicke trafen sich, und in seinen Augen lag etwas, das ich nicht sofort einordnen konnte. Müdigkeit, ja – aber auch Wärme. Etwas, das sich anfühlte wie eine Erinnerung an Hoffnung.
„Und manchmal“, fuhr ich fort, „bleibt nur jemand, der neben einem sitzt.“
Er lächelte kaum merklich. Nur ein Zucken in den Mundwinkeln, ein stilles Einverständnis. Dann lehnte er sich mit dem Rücken an die kalte Betonwand und schloss für einen Moment die Augen.
Ich beobachtete ihn. Das schwache Licht zeichnete seine Gesichtszüge weich, ließ ihn jünger wirken, verletzlicher. Ich fragte mich, wie jemand wie er in dieser Welt überlebt hatte – mit diesem Funken Menschlichkeit in den Augen, der in allen anderen längst erloschen war.
Eine Zeit lang sagten wir nichts. Nur unser Atem war zu hören, gleichmäßig, synchron.
Irgendwo tropfte das Wasser, das Geräusch verschmolz mit dem leisen Surren der alten Lampen.
„Weißt du“, begann Alex schließlich, „manchmal frage ich mich, ob das hier alles noch Sinn hat. Das Kämpfen, das Verstecken, das Verlieren. Vielleicht ist das hier längst nicht mehr unser Land.“
Ich schwieg. Es gab keine Antwort, die sich richtig anfühlte.
„Aber dann“, fuhr er fort, „begegne ich jemandem, der einfach bleibt. Der nicht wegläuft. Und dann…“ Er brach ab, drehte den Kopf zur Seite.
Ich sah, wie sich sein Adamsapfel bewegte, als er schwer schluckte.
Ich wollte etwas sagen, aber mir fehlten die Worte. Also legte ich meine Hand wieder auf seine. Nicht fest, nicht fordernd – nur ein leises Zeichen, das ich verstand.
Er öffnete die Augen. In ihnen spiegelte sich das blasse Licht, und für einen Moment war da nichts von der Welt da draußen. Kein Krieg. Keine Armut. Kein kalter Beton. Nur wir, zwei Menschen, die irgendwie übriggeblieben waren.
Er rückte ein Stück näher. So dicht, dass ich seine Wärme spüren konnte.
Ein Zittern durchfuhr mich – nicht vor Angst, sondern weil es sich ungewohnt anfühlte, etwas Gutes zu empfinden.
Wir sagten nichts mehr. Die Worte hätten nur zerstört, was gerade entstand.
Draußen in der Dunkelheit klang das Tropfen lauter.
Ein neuer Tag würde bald beginnen, irgendwo über uns, in einer Welt, die längst kaputt war.
Aber hier unten, zwischen Schatten und Atemzügen, begann etwas anderes – leise, vorsichtig, fast unscheinbar. Etwas, das gefährlicher war als jede Mission. Etwas, das Hoffnung hieß.
Alex seine anfängliche Skepsis mir gegenüber war verflogen und meine Angst bezüglich meiner Entscheidung schwand von Minute zu Minute. Denn in Alex Nähe fühlte sich die Welt anders an, heile, schön. Ich glaube nie an Liebe auf den ersten Blick, aber vielleicht war es mit Liebe auf den ersten Schuss etwas anderes.
Ich hatte das Geschehen der letzten Nacht fast schon vergessen, auch das schreckliche Gefühl, ein Leben genommen zu haben, verblasste in seiner Nähe. Wenn mein bisheriges Leben die Nacht war, dann war Alex nicht nur der Sonnenaufgang, er war die Sonne selbst.
In mir brodelte es, es kribbelte und jede seiner Berührungen fühlte sich unglaublich an.
„Wir sollten zur Besprechung”, unterbrach Alex mit leiser, fast schon enttäuschter Stimme die Ruhe. Es schien, als wollte auch er nicht, dass dieser Moment endet. Gemeinsam gingen wir in den Besprechungsraum, wo Solan bereits wartete.
der Platz wird knapp
Alex und ich wurden für “normale” Versorgungsarbeiten eingeteilt. Besorgungen machen, Lager einräumen und all solche Dinge. Dabei redeten wir viel, wir lachten, machten Blödsinn, wir verhielten uns wie verliebte, kleine Mädchen. Aber es war uns egal, denn mit dem anderen war es schön.
In den nächsten Tagen arbeiten Alex und ich täglich zusammen. Alex hatte das so arrangiert. Jeden Morgen weckte mich Alex mit einer Tasse Kaffee, an dessen grausigen Geschmack ich mich schnell gewöhnt hatte. Es ging auch nicht um den Kaffee, denn das schönste war, von Alex geweckt zu werden. So verging Tag um Tag.
Im Laufe der Tage stießen immer mehr neue Freiheitskämpfer zu unserer Truppe und der Platz wurde eng. Es gab nicht mehr genug freie Zellen und Betten. Sehr zu meiner Freude, denn so ergab sich etwas, von dem ich nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Alex schlug dem Quartiermeister vor, in meine Zelle zu ziehen und seine Zelle und sein Bett freizugeben. Natürlich wurde der Vorschlag aufgrund des massiven Platzmangels ohne große Fragen angenommen. Alex überbrachte mir an einem Morgen persönlich die Nachricht: „Guten Morgen mein Liebe.” Es war schon eine feste Gewohnheit, dass Alex mich morgens mit einem Kaffee weckte. So auch an diesem Tag.
„Guten Morgen”, gähnte ich noch ziemlich verschlafen zurück, „hast du gut geschlafen?” fragte ich Alex. „Ja habe ich, du auch?” Ich nickte. „Ich habe eine, vielleicht schlechte Nachricht für dich”, begann Alex. „Was ist passiert?” fragte ich erschrocken und erwartete eine wirklich schlimme Nachricht. „Nunja, die Zeit mit einem Einzelzimmer ist vorbei, wir haben nicht mehr genug Platz für alle und du musst dein Zimmer und leider auch dein Bett mit jemandem teilen.” „Ein Fremder in meinem Bett?” Ich war nicht begeistert. „Ja leider”, Alex senkte beschämt den Kopf. „ich möchte keinen Fremden in meinem Bett.” „Ja das hatte ich befürchtet”, Alex wirkte traurig, „dann müssen wir eine andere Lösung finden.” Er stellte meine Tasse Kaffee auf den Boden, stand auf und ging Richtung Tür.
„Wer würde denn hier einziehen?” wollte ich dann doch wissen. Alex drehte sich um und schaute zu mir: „Ich!” Mir blieb kurz das Herz stehen, bevor es sich vor Freude überschlug. Ich sprang auf, lief zu Alex und umarmte ihn. „Du darfst jederzeit bei mir schlafen!” rief ich, „du bist doch kein Fremder.” Alex schaute mich mit leuchtenden Augen an. Er war ebenso glücklich wie ich.
Es folgt die beste Zeit, die ich seit Jahren hatte, vielleicht sogar die beste Zeit meines Lebens. Denn noch nie schlief ich so gut, wie mit Alex in meinem Arm. Einfach nur seine Nähe und seine Wärme spüren, ließ mich die schönsten Gefühle erleben. Morgens nach dem Aufwachen sein Lächeln zu sehen, ließ in mir die Sonne aufgehen
Einige Tage später
Die Nacht lag schwer über der Stadt, als Alex und ich uns durch die Trümmer eines alten Industriegebiets bewegten. Der Wind trug den Geruch von feuchtem Beton und verrostetem Metall, und jedes unserer Schritte hallte in der Leere wie ein leiser Vorbote der Gefahr. Ich konnte die Spannung in Alex spüren, die unaufhörlich zwischen uns pulsierte – dieselbe Spannung, die auch in mir wuchs, aber gemischt mit einer Wärme, die ich lange nicht mehr gespürt hatte.
„Wir müssen hier leise bleiben“, flüsterte er, während er mich am Arm packte, mich etwas näher an sich zog. Die Nähe war ein stilles Versprechen: Wir gehören zusammen in dieser Nacht, ob wir wollten oder nicht. Sein Griff beruhigte mich, ließ die Angst nicht verschwinden, aber machte sie tragbar.
Wir glitten durch die Schatten, vorbei an rostigen Hallen und halb zusammengefallenen Fabrikgebäuden. Jede Ecke konnte einen Hinterhalt verbergen, jedes Fenster Augen haben, die uns beobachteten. Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug, nicht nur aus Angst, sondern auch aus einer anderen, tieferen Regung, die ich nur mit Alex an meiner Seite erlebte.
Plötzlich ein Geräusch – Metall, das auf Metall schlug, leise, aber deutlich. Ich erstarrte, mein Atem stockte. Alex drückte mich hinter eine verrostete Lagerhalle, sein Körper schützend vor meinem. „Bleib ruhig. Ich hab dich.“ Seine Stimme war ein Anker in der Dunkelheit, und ich spürte, wie sein Herz gegen meinen Rücken pochte. Wir atmeten synchron, jeder Herzschlag ein stilles Bündnis.
Die Gefahr war unmittelbar: Eine Gruppe schwer bewaffneter Männer tauchte am Ende des Schutthaufens auf. Ihre Taschenlampen schnitten scharfe Lichtkegel durch den Nebel, und ich hörte das Klicken ihrer Waffen. Mein Magen verkrampfte sich, und ohne nachzudenken, griff ich nach Alex’ Hand. Er drehte sich zu mir, unsere Finger verschränkten sich wie zwei Flammen, die sich gegenseitig stützten. „Wir schaffen das“, flüsterte er, die Intensität in seinen Augen so greifbar, dass mir die Worte fehlten.
Wir bewegten uns langsam, geduckt, wie Schatten, die miteinander atmen. Jeder Schritt war eine Prüfung, jede Bewegung eine Übung in Vertrauen. Ich spürte, wie wir uns in diesem Moment vollkommen aufeinander verließen – ein falscher Schritt, und alles hätte enden können. Die lebensbedrohliche Situation schärfte unsere Sinne und ließ zugleich ein seltsames, warmes Band zwischen uns entstehen.
„Hier entlang“, sagte Alex, zog mich hinter eine weitere Halle, in der wir Deckung fanden. Die Männer waren nun näher, und ich konnte ihre Stimmen hören, hart, rau, voller Gewaltbereitschaft. Ich spürte, wie Alex’ Hand meine Schulter streifte, zuerst flüchtig, dann fester, als wollte er mir sagen: Ich bin hier, du bist nicht allein.
Die Minuten zogen sich wie Stunden, bis ein unerwartetes Geräusch die Angreifer ablenkte – ein umstürzender Container, ein metallisches Krachen, das die Aufmerksamkeit auf sich zog. Alex nutzte den Moment, zog mich an sich und wir rannten, ohne zurückzublicken, durch ein Labyrinth aus Schutt und Stahl. Mein Körper brannte, die Luft war schwer, aber jede Bewegung neben Alex fühlte sich gleichzeitig sicher an. Ich war verletzlich, aber in seiner Nähe unbesiegbar.
Endlich erreichten wir einen schmalen Gang, der zu einem verlassenen Bürogebäude führte. Wir stürzten hinein, keuchten, der Herzschlag wie ein Trommelfeuer. Alex hielt mich gegen die Wand, seine Stirn leicht an meiner. „Alles in Ordnung?“, flüsterte er. Ich nickte, zu erschöpft, um zu sprechen, und spürte, wie sich eine Welle der Erleichterung und Dankbarkeit in mir ausbreitete.
„Du bist unglaublich“, murmelte er und seine Lippen berührten flüchtig meine Schläfe. Kein Wort, kein Zögern – nur die Bestätigung, dass wir beide wussten, dass wir füreinander da waren. In dieser lebensbedrohlichen Nacht hatte sich etwas zwischen uns gefestigt, stärker als jede Angst, stärker als jede Gefahr.
Wir setzten uns schließlich auf den Boden, Rücken an Rücken, und ließen die Stille wirken. Kein Geräusch außer unserem Atem. Jeder Herzschlag war ein Versprechen, jede Berührung ein stiller Eid. Die Welt draußen konnte auseinanderfallen, Soldaten, Schüsse, Explosionen – nichts davon konnte die Verbindung zerstören, die in dieser Nacht zwischen uns entstanden war.
Ich sah zu Alex hinüber, sein Gesicht im schwachen Licht der Lampe weich und ernst zugleich. „Wir überleben das“, sagte er leise. „Wenn wir zusammenhalten, schaffen wir alles.“ Und in diesem Moment wusste ich, dass wir es nicht nur physisch überleben würden – sondern dass diese Nacht die Tiefe unserer Bindung für immer verändert hatte.
Wir hatten uns gegenseitig gerettet, und in der Rettung war etwas Größeres entstanden: Liebe, Vertrauen, Abhängigkeit – eine innige Verbundenheit, die uns durch jede Gefahr tragen würde. Die Nacht draußen war noch lang, und die Stadt voller Bedrohungen, doch wir beide wussten: Solange wir uns hatten, konnte uns niemand zerbrechen.
Kaum hatten wir uns für einen Moment gesetzt, hörten wir wieder Schritte, diesmal näher und schneller. Das Herz schlug mir bis zum Hals, und ich spürte Alex’ Hand, die meine suchte. „Bereit?“ flüsterte er, und ich nickte stumm. Wir standen auf, Rücken an Rücken, und schoben uns vorsichtig durch die Dunkelheit des verlassenen Bürogebäudes.
Ein grelles Licht schnitt durch ein zerbrochenes Fenster, und unsere Verfolger entdeckten uns fast gleichzeitig. Schüsse krachten gegen die Wände, Funken stoben auf, und der Beton vibrierte unter der Wucht. Alex packte mich sofort, zog mich hinter einen massiven Schreibtisch, und ich spürte seinen Körper fest gegen meinen gepresst. Die Nähe brannte auf der Haut, und gleichzeitig war sie ein Anker inmitten des Chaos.
„Wir müssen hier raus, jetzt!“, sagte er mit einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Ich vertraute ihm blind, spürte die Entschlossenheit in jedem seiner Bewegungen. Wir huschten durch einen engen Flur, Schüsse folgten uns wie tödliche Schatten. Meine Lungen brannten, meine Beine fühlten sich schwer an, aber neben Alex war ich stark.
Plötzlich krachte die Decke über uns teilweise ein, Staub und Trümmer fielen, und ein Stück Stahlbohle landete gefährlich nah. Alex zog mich weg, unser Atem stieg wie Rauch in der stickigen Luft auf. „Pass auf!“, schrie er, während wir über Schutt und zerbrochene Möbel stolperten. Ich hielt mich an ihm fest, spürte, wie jeder Herzschlag uns enger miteinander verband – in dieser Lebensgefahr war Nähe nicht nur Trost, sondern Überleben.
Wir fanden einen schmalen Seitengang, kaum breit genug, um nebeneinander zu gehen. Alex hielt die Tür auf, und wir schlüpften hinein. Hinter uns zerschellte das Glas des Büros, unsere Verfolger kamen näher, aber wir hatten einen Moment der Ruhe gewonnen. Ich sank keuchend auf die Knie, und er kniete sich sofort neben mich, legte die Hand auf meinen Rücken. „Alles gut“, murmelte er, fast sanft, und ich spürte, wie eine Welle von Erleichterung und Wärme durch mich floss.
„Ich… ich dachte… wir wären verloren“, gestand ich leise.
„Wir sind nicht verloren“, antwortete er, und seine Augen hielten meine in einem Blick, der tiefer ging als Worte. „Solange wir zusammen sind, gibt es immer einen Weg.“
Wir wussten, dass die Gefahr noch nicht vorbei war. Die Verfolger würden nicht aufgeben, und wir mussten einen Ausweg finden, bevor sie uns einholten. Aber in diesem Moment, eingekeilt in einem schmalen Gang, hatte sich etwas fundamental verändert: Wir waren nicht nur zwei Menschen, die Seite an Seite kämpften – wir waren ein Team, verbunden durch Vertrauen, Nähe und ein stilles Versprechen, uns gegenseitig zu beschützen, egal was kommen würde.
Alex legte seinen Arm um mich, zog mich eng an sich. „Ich lasse dich nicht fallen“, flüsterte er. Ich legte meinen Kopf auf seine Schulter, und für einen winzigen Moment war die Welt draußen bedeutungslos. Nur wir beide zählten – Herz an Herz, Atem an Atem, inmitten der lebensbedrohlichen Dunkelheit.
Dann kam der nächste Schritt: Wir mussten nach draußen, zurück auf die Straße, wo die Chancen noch schlechter waren. Ich spürte, wie sich Adrenalin und Angst miteinander mischten, meine Hand fest in seiner. „Bereit?“ fragte er erneut. Ich nickte, und gemeinsam traten wir aus dem Schatten in die gefährliche Nacht, bereit, alles zu riskieren – aber nicht ohne einander.
Wir schlichen durch die Schatten der Straße, die nur spärlich vom Licht einer flackernden Straßenlaterne erhellt wurde. Jeder Schritt, jeder Atemzug war ein riskantes Spiel. Hinter uns hörten wir gedämpfte Stimmen und das Klirren von Metall – unsere Verfolger waren noch da.
Alex zog mich enger an sich, seine Hand fest um meine. „Fast geschafft“, flüsterte er, aber seine Augen scannten die Umgebung wie ein Panther. Ich spürte die Wärme seines Körpers, die Sicherheit in seiner Präsenz, und ein seltsames, beruhigendes Gefühl machte sich breit, trotz der Gefahr.
Ein plötzlicher Knall ließ uns zusammenzucken. Ein Auto raste aus einer Seitenstraße, fast direkt auf uns zu. Alex packte mich, wir sprangen hinter eine niedrige Mauer. Mein Herz hämmerte, meine Lungen brannten, doch ich fühlte mich bei ihm sicherer als je zuvor.
„Wir müssen rennen“, sagte er, kaum hörbar. „Sobald das Auto vorbei ist, alles oder nichts.“ Ich nickte, spürte, wie sein Atem auf meiner Haut lag. Wir warteten den perfekten Moment ab – das Auto verschwand um die Ecke, die Straße lag frei.
Dann liefen wir. Über die Straße, durch Gassen, über umgestürzte Kisten und Mülltonnen. Ich stolperte einmal, und sofort war seine Hand da, hielt mich, zog mich hoch. Unser Atem mischte sich in der kalten Nachtluft, und in jedem Blick, den wir einander zuwarfen, lag eine unausgesprochene Verheißung: Wir würden uns nicht verlieren, nicht heute.
Schließlich erreichten wir ein altes Lagerhaus, halb zerfallen, aber immer noch sicher genug, um uns zu verstecken. Alex schloss die Tür hinter uns, wir lehnten keuchend dagegen. „Wir haben es geschafft… zumindest vorerst“, sagte er, ein schwaches Lächeln auf den Lippen.
Ich sank auf den Boden, den Rücken gegen seine Brust. „Ich dachte… ich würde sterben“, gestand ich, die Stimme brüchig.
„Du bist nicht allein“, antwortete er, seine Arme fest um mich gelegt. „Ich lasse dich nie allein. Niemals.“
Die Gefahr war noch nicht vorbei, aber in diesem Moment zählte nur das Hier und Jetzt. Ich spürte sein Herz gegen meines schlagen, fühlte jede Regung, jede leichte Bewegung. Es war eine Nähe, die nicht nur körperlich war, sondern auch tief emotional. Wir waren verbunden auf eine Weise, die selbst die Lebensgefahr nicht zerstören konnte.
Wir saßen dort lange, atemlos, still, und spürten, dass unser gegenseitiges Vertrauen stärker war als jede Bedrohung. Jeder Schlag der Uhr, jedes entfernte Geräusch draußen machte uns bewusster, dass wir noch lebten – zusammen.
Und in dieser Nacht, eingekeilt zwischen Angst und Leidenschaft, zwischen Dunkelheit und Funken von Hoffnung, wussten wir beide: Egal, was noch kommen würde, wir würden es gemeinsam bestehen. Herz an Herz, Atem an Atem, bereit für alles, was die Welt uns noch entgegenwerfen konnte.
Einige Tage später, tief in der Nacht, führte Alex mich durch die verlassenen Straßen eines Industriegebiets, das selbst tagsüber bedrohlich wirkte. Die Fabrikhallen standen wie stumme Zeugen einer besseren Zeit, ihre Fenster zerbrochen, rostige Kräne ragten in den Himmel, und überall lag der Geruch von Öl, Staub und Verfall. Jede Bewegung konnte entdeckt werden, jeder Schritt war ein Risiko.
„Bleib dicht bei mir“, flüsterte Alex und legte seine Hand leicht auf meinen Rücken. Es war keine Geste der Kontrolle, sondern ein stiller Schutz. Ich nickte, spürte, wie mein Herz schneller schlug. Die Nähe war tröstlich, aber auch beunruhigend – in dieser Welt konnte jede Ablenkung tödlich sein.
Wir bewegten uns zwischen den Schatten, immer den flackernden Resten der Straßenbeleuchtung folgend. Plötzlich hörte ich entfernte Stimmen, ein Raunen von Schritten auf Metall. Ich erstarrte, doch Alex zog mich sanft hinter einen rostigen Container. Sein Atem lag warm an meinem Ohr. „Nicht bewegen. Sie sind noch nicht nah genug, um uns zu sehen.“
Ich spürte, wie sich seine Hand auf meine legte, dann meine Finger in seinen verschränkt. Es war kein Moment für Worte, nur für Berührung – die stille Bestätigung, dass wir einander hatten, selbst wenn die Welt um uns zerbrach. Die Gefahr draußen machte jede Geste von Nähe intensiver, jeden Blick gewichtiger.
Plötzlich ein grelles Licht von einem Suchscheinwerfer. Alex zog mich tiefer ins Schattenreich der Halle. Mein Herz hämmerte, die Luft schien schwer, und jeder Atemzug brannte in meiner Lunge. „Atme langsam“, flüsterte er. „Ich bin bei dir. Egal was passiert.“
Seine Stimme war ruhig, doch ich spürte das Adrenalin in ihm, genau wie in mir. Ich ließ mich auf seine Worte ein, zählte die Sekunden zwischen den Schritten der Verfolger. Dann, ohne dass ich ganz verstand, wie, drückte er sich dicht an mich, seine Stirn leicht gegen meine. „Alles wird gut“, murmelte er, und ich wollte ihm glauben. Ich wollte mich nur noch an ihn klammern.
Wir warteten Minuten, die sich wie Stunden anfühlten, bis das Licht wieder verschwand. Kaum dass die Gefahr vorüber war, schlich Alex näher. „Komm“, sagte er und führte mich weiter durch die Gänge. Sein Griff war fester, gleichzeitig sanft, als wüsste er, dass wir nur gemeinsam hier herauskommen konnten.
In einer verlassenen Halle fanden wir schließlich Schutz hinter einem Haufen alter Metallfässer. Die Stille war schwer, doch wir hatten einen Moment für uns. Alex ließ meine Hand los, strich mir eine Strähne aus dem Gesicht, und für einen Augenblick sah ich nur ihn – nicht die Gefahr, nicht die Welt draußen. „Du bist mutiger, als du denkst“, sagte er leise. Ich konnte das Zittern in seiner Stimme hören, das gleiche Zittern, das ich in mir selbst spürte.
„Und du bist… stärker, als ich es mir je hätte vorstellen können“, erwiderte ich, meine Stimme kaum mehr als ein Hauch. Unsere Blicke trafen sich, und ohne Worte verstanden wir einander. Kein Pathos, kein Übermut – nur das stille Einverständnis, dass wir zusammenhielten, egal was kam.
Wir schwiegen, spürten die Nähe, die Wärme, die das nackte Metall der Fässer und die Kälte der Nacht vergessen machte. Ich legte meinen Kopf gegen seine Schulter, er hielt mich fest, als wollte er sicherstellen, dass kein Windstoß uns trennen konnte. In dieser Nacht war unsere Verbindung das Einzige, was zählte.
Doch die Ruhe war trügerisch. Ein lautes Krachen, das Geräusch von Stahl, der auf Metall prallte, riss uns auseinander. Verfolger. Direkt vor der Halle. Alex zog mich sofort hoch, sein Griff noch fester, und wir rannten los. Jeder Schritt war ein Kampf gegen den Schmerz, gegen die Angst. Kugeln schlugen in den Boden um uns ein, Metall splitterte, Funken sprühten.
Wir fanden eine Öffnung in der hinteren Wand, ein kleiner Schacht, kaum größer als ein Mensch. Alex hielt mir die Hand hin, und ich nahm sie. Unsere Finger verschränkten sich automatisch, inmitten des Chaos die einzige Konstante. „Gemeinsam“, flüsterte er. Ich nickte, und wir krochen hinein, die Dunkelheit verschluckte uns, die Nacht schloss sich um uns.
Im Schacht, zusammengepfercht, atmeten wir schwer. Alex streichelte meinen Rücken, seine Hand beruhigend auf meiner Schulter. „Du bist hier, ich bin hier“, sagte er, fast beschwörend. Ich spürte, wie sich mein Herz an seines schmiegte, wie wir uns gegenseitig stützten. Die Gefahr draußen war real, aber drinnen, in diesem Moment, gab es nur uns.
Und während wir uns aneinander festhielten, wusste ich: So intensiv, so gefährlich, so vollkommen war noch nie etwas gewesen. Nicht nur Überleben, sondern das Leben selbst – es pulsierte durch unsere Berührung, durch unsere Nähe. Wir waren eins in der Dunkelheit, stark und verletzlich zugleich.
Als der erste Lichtstrahl des Morgens durch einen Riss im Schacht fiel, hatten wir überlebt. Atemlos, erschöpft, doch miteinander verbunden wie nie zuvor. Die Nacht hatte uns geprüft, und wir hatten nicht nur überlebt – wir hatten einander gefunden.
Das Ende
Die Vorbereitung zog sich über Tage hin. Karten lagen auf dem Tisch, Markierungen, Notizen in unordentlichen Handschriften. Solan verteilte Aufgaben mit der Präzision eines Feldwebels. Wir schlichen uns in Besprechungen, studierten Schichtpläne der Wachen, lauschten Funkkanälen, notierten Wechsel der Patrouillen. Jeder Schritt war kalkuliert, jede Lücke ein möglicher Ausweg — oder eine Falle.
Ich und Alex arbeiteten Seite an Seite. Unsere Rollen waren klar: er die Vorhut, ich die Rückendeckung. Aber zwischen Routenplan und Funkprotokoll war Raum für Menschliches. Kleine Rituale, die das Überleben leichter machten: morgens ein zu heißer Kaffee, ein kurzer Blick, ein Wort, das keiner hören sollte. „Atme“, sagte er einmal leise, als ich mit zitternden Fingern Karten zeichnete. Ich tat es, nicht weil es die Karten besser machte, sondern weil seine Stimme meine Hände beruhigte.
Der Plan nahm Gestalt an. Ein Ablenkungsfeuer im Osten würde die Außenposten binden; ein kleiner Kernteam würde über einen alten Versorgungstunnel in den Unterbau des Hauptquartiers eindringen. Ziel: die Datenbank, die Namen, die Verbindungen — und ein Akt, der die Partei öffentlich blamieren sollte: Dokumente, Tonaufnahmen, Beweise. Kein Massaker, kein Machismo. Ein Schlag, der den Apparat entblößen sollte.
Doch in den Nächten, wenn die Karten weggeräumt waren und die Lampen gedimmt, lagen Alex und ich im schmalen Bett, nahe beieinander, und sprachen leise. Nicht über Taktik. Über Dinge, die nie jemand hören durfte: woran wir uns erinnern wollten, wovor wir Angst hatten. Er erzählte von einem Sommertag, an dem er als Kind barfuß durch einen Fluss lief. Ich hörte zu und sah, wie das Gesicht des Kriegers weich wurde.
„Wenn das schiefgeht…“ begann ich einmal, doch Alex unterbrach mich nicht. Stattdessen legte er seine Hand an meine Wange, eine Hand, die so viel gehalten hatte in den letzten Tagen. „Wenn das schiefgeht, dann war es nicht umsonst“, sagte er. Nicht mutig, nur entschieden. So sprach er immer, und ich glaubte ihm. Bis zu jener Nacht glaubte ich, dass seine Entschlossenheit uns schützen würde.
Die Anspannung war greifbar, wie ein Draht unter der Haut. Und doch war da auch etwas anderes: eine stille Gewissheit, dass wir, wenn wir fielen, es zusammen taten. Das zog uns nicht schwächer — es machte uns mutiger. Ich schlief schlecht, träumte von Zäunen, brennenden Fahnen, seinem Gesicht, wenn die Welt heller war als jetzt.
Der Regen begann kurz vor Mitternacht, als würde der Himmel versuchen, die Stadt zu waschen, ehe wir etwas zerstörten. Wir näherten uns in zwei Gruppen; der Ablenkungsbrand flackerte bereits in der Ferne, Sirenen spielten die geplante Musik. Der Plan lief — auf dem Papier.
Die Mauer des Hauptquartiers stand vor uns wie eine alte Wunde, bewacht, mechanisch und unnachgiebig. Alex war bei mir, seine Schattenlinie an meiner Seite. Wir kletterten über Notleitern, schoben uns durch Spalten, bis wir in einen Wartungsschacht einbrachen. Dreck, Öl, der Geschmack von Metall in der Luft. Das Funkgerät summte leise. „Auf Position“, flüsterte Solan in meinem Ohr.
Im Innern war es stiller als draußen, eine Ruhe, die ganz anders drückte als die Hektik vor der Mauer. Wir arbeiteten uns vor, schalteten Kameras aus, knöpften Schließsysteme, lösten Verriegelungen. Alles lief nach Plan — bis es das nicht mehr tat. Ein unerwartetes Schloss, falsch programmiert, ein Sensor, der nie auf der Karte vermerkt war. Wir bemerkten die Störung, aber zu spät: Ein rotes Licht flackerte. Ein Summen. Dann das Knattern der Maschinen: Alarm.
Panik ist eine enge Höhle. Man sieht nur, was unmittelbar vor einem ist. Alex war ein Fels inmitten davon. Er schubste mich ohne Zögern hinter eine Stahltür, deckte den Mund meines Mundes mit seiner Hand, als draußen Männer anrückten. Seine Augen suchten meine, sagten mir keine Heldentat, sondern eine andere Sache: „Lauf nicht weg, kämpfe nicht allein.“
Wir stürmten los, Schüsse schlugen ein. Rauch stank nach verbranntem Plastik. Splitter flogen, Funken zeichneten kurze Sternbilder in der Luft. Inmitten dessen ein Moment, den ich mir bis heute nicht erklären kann: Alex trat vor, schirmte mich ab, obwohl die Straße vor uns offen war. Ein schwerer Mann, bewaffnet, drückte das Gewehr gegen seine Schulter. Ich hörte den Befehl, den Schrei, dann das Krachen – so nah, dass ich das Echo in meinem Brustkorb fühlte. Alex fiel nicht sofort. Er schwankte, drehte sich Richtung, packte mich noch einmal, zog mich hinter eine Mauer.
„Geh!“, keuchte er. Ich wollte nicht, aber mein Körper gehorchte, weil seine letzte Befehlstonart wie immer war — nicht der Befehl eines Kommandanten, sondern die Stimme eines Menschen, der alles verwalten musste, was er liebte. „Geh! Für uns“, presste er hervor, Blut am Mund, Augen, die nicht die seinen waren, sondern schon weit weg.
Ich riss mich los, weil ich die Wahl genommen bekam, nicht weil ich ihr zustimmte. Ich lief. Hinter mir hörte ich Schreie, Explosionen, das Stöhnen von Metall. Ich fluchte, sprintete, stolperte — und dann die Leere, als das Echo von Alex’ Stimme verloren ging. Als ich mich schließlich in Sicherheit brachte, in einer Oberstube mit wenigen anderen, da erstürzte das Entsetzliche in mich: Alex war nicht bei mir.
Ich musste zurück, ich musste ihn suchen und ich musste ihn finden. Ich bekam Panik, Angst ihn verloren zu haben und in mir wuchs das Adrenalin.
Ich fand ihn nicht sofort. Die Welt drehte sich in einem Loop aus Sirenen. Als ich ihn endlich sah — halb unter einem eingestürzten Träger, das Hemd blutverkrustet — sackte ich in mich zusammen. Die Art, wie sein Atem nur noch ein Flüstern war, schnitt tiefer als jede Kugel. Er lächelte, so schwach, als könnte er immer noch einen Scherz machen. „Du bist… da“, hauchte er. Seine Hand suchte nach meiner, fand sie, krallte sich an meinem Finger, nicht drücken, nur halten.
„Alex, nein — bleib bei mir“, sagte ich, obwohl ich schon wusste, wie lächerlich die Bitte war. Seine Augen waren glasig, aber sie waren bei mir. „Du musst… du musst gehen“, flüsterte er. Die Worte kamen langsam, als bliebe jedem Silben noch Zeit, Abschied zu sagen. „Führe… sie. Mach weiter. Versprich…“ Er brach ab, keuchte. Ich versuchte, sein Gesicht zu stützen, fühlte die Wärme, die bald fortging.
Er lachte schwach, ein bisschen absurd, und flüsterte: „Versprich mir… vergiss nicht zu lachen.“ Es war unglaubwürdig, in diesem Moment an Lachen zu denken. Doch das Lächeln in seinen Zügen war echt. Es war ein letzter Anker an das Leben, an die kleinen, intimen Dinge, die uns menschlich machten.
Dann wurde sein Blick trüb. Sein Atem wurde kürzer. Ich hielt ihn, während die Welt in Flammen stand. Ich weiß nicht mehr, ob ich schrie oder flüsterte, nur dass der Boden unter mir sich auflöste. Als sein Herzstillstand kam, fühlte es sich an, als zöge man mir die Welt unter den Füßen fort. Er starb mit meiner Hand in seiner. Ich versuchte, das Händedrücken zu erzwingen, hielt seine Finger, fühlte die letzte Wärme vergehen, und mit dem letzten Hauch seines Körpers war ein Teil von mir ausgegangen.
Bevor ich mich dem Widerstand anschloss, hatte ich nichts zu verlieren. Mein Leben war leer, dunkel und kalt. Es war wie eine endlose Nacht, eine Nacht, die niemals einen Morgen haben würde. Dann trat Alex in mein Leben und plötzlich fühlte ich die Wärme eines angehenden Morgens, Alex war wie der erste, warme Sonnenstrahl, der einen berührt, nach einer kalten, dunklen Nacht. Und jetzt…die Nacht war erneut hereingebrochen, noch kälter und noch dunkler als jemals zuvor und ich wusste, diese Nacht würde niemals enden.
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Autor: Phoenix
Geschlecht: männlichPosition: Sub
Alter: 44
Erfahrung als Sub in Jahren: 34
Biographie von Phoenix (Link temporär entfernt)
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